Donnerstag, 28. November 2013

Die Welt, wie Larry sie sieht - Janet Tashjian


Zur Zeit besuche ich ein Hauptseminar der Amerikanistik. Es trägt den Titel "Nathaniel Hawthorne and the American Renaissance". Dass ich dieses Seminar besuchen wollte, hat mehrere Gründe. Komparatisten dürfen aus dem Bereich der Anglistik und Amerikanistik wählen, was sie wollen; wir müssen uns also auf keinen der beiden Teilbereiche festlegen. Leider sind die Module des englischsprachigen Teils des Einfachbachelors aber so aufgebaut, dass man sich oft entscheiden muss. Dadurch hatte ich bisher leider nur Vorlesungen und Seminare aus der Anglistik. Als letzten Kurs wollte ich daher gerne etwas aus der Amerikanistik belegen (auch wenn ich über kein bisschen Vorwissen verfügte). Der zweite Grund war, dass mein Tanzpartner, mit dem ich bisher leider noch keinen einzigen gemeinsamen Kurs hatte, auch in dieses Hauptseminar wollte. Der dritte Grund war aber der: Obwohl ich von amerikanischer Literatur so gut wie keine Ahnung hatte, haben mich Emerson, Thoreau und Co. schon länger interessiert. Schuld daran ist ein Buch, dass ich einmal geschenkt bekommen habe. Ich habe es schon sehr oft gelesen und es war lange mein absolutes Lieblingsbuch: "Die Welt, wie Larry sie sieht" von Janet Tashjian.

Henry David Thoreau (Rich Moffitt/Flickr/CC BY 2.0)
Ich weiß nicht mehr genau, wann ich das Buch zum ersten Mal gelesen habe. Aber es war eindeutig zu einer Zeit, als ich noch nicht besonders gut englisch konnte (sonst hätte ich es nämlich in der Originalsprache gelesen). Ich glaube, dass ich es einmal in der Stadtbücherei ausgeliehen hatte. Meine Mutter wollte es mir dann schenken, weil es mir so gut gefiel, und wir mussten feststellen, dass das Buch wohl nicht mehr verlegt wurde. Wie auch immer, ich habe nun die gebundene Ausgabe von 2002 (Dressler Verlag, Hamburg) im Regal stehen. (Ich denke, ich habe es etwa 2004 zum ersten Mal gelesen). Das Original trägt den Titel "The Gospel According to Larry" und erschien 2001 bei Henry Holt and Company in New York. Noch immer zählt "Die Welt, wie Larry sie sieht" zu meinen Lieblingsbüchern, und da es nur gut 200 Seiten hat, kann man es auch mal zwischendurch lesen. Ich kann es wirklich jedem nur empfehlen.





In der Vorbemerkung schreibt Janet Tashjian, sie habe einen Jungen namens Josh Swensen getroffen, der ihr seine Geschichte überlassen habe, damit sie sie veröffentlichen kann. Die Überschrift nach der Vorbemerkung heißt daher "Larrys Geschichte - von ihm selbst erzählt" und führt als Autor Josh Swensen an. Schon in der Vorbemerkung zitiert Josh Thoreaus "Walden", was mir sicher einige Hinweise auf den Inhalt hätte liefern können, hätte ich Henry David Thoreau und sein Werk schon gekannt, als ich das Buch zum ersten Mal las. Das Buch ist in sechs Teile untergliedert, die ich im Folgenden vorstellen will.


Josh lebt in Boston. (Manu_H/Flickr/CC BY 2.0)

Erster Teil / Joh. 21, 24


Zunächst werden die Hauptcharaktere vorgestellt: Josh, dessen Thoreau-verschlingende Freundin Beth (in die er verliebt ist), und indirekt auch Larry, dessen Internetseite www.larry-evangelium.com die Jugendlichen so begeistert, dass Beth einen Fanclub an der Schule gründen will. Außerdem gibt es noch Peter, Joshs Stiefvater. Nach dem Tod von Joshs Mutter leben die beiden zu zweit zusammen, wobei Mr. Swensen eine Freundin hat. Sein Stiefsohn kann Katherine aber leider überhaupt nicht ausstehen.
Der Leser erfährt, dass Joshs Liebe zu Beth einseitig ist, dass dieser Larry ein ziemlich cooler Typ zu sein scheint, der Werbestrategien (wie die von Peter), Markenwahn und Konsumgeilheit anprangert. Und das in so genannten Predigten. Obwohl Josh und Peter eigentlich ganz gut miteinander zurecht kommen, gibt es scheinbar doch vieles, das sie trennt. Nicht nur die unterschiedlichen Ansichten über die Werbebranche, in der Mr. Swensen arbeitet, ist ein Hindernis. Auch die verstorbene Mrs. Swensen wird von den beiden wohl unterschiedlich gesehen. "Wenn Peter Mama besuchte, ging er auf den Friedhof. Ich dagegen - der sie sehr viel besser kannte als er - ging an einen Ort, der mehr von ihrer Seele bewahrt hatte als ein Stück Weideland mit lauter Granitsteinen.
Die Kosmetikabteilung in Bloomingdale's" (S. 30), so Josh. Dort kennt man ihn bereits, und er darf bei wenig Kundschaft in der Lotusstellung in einem er Polsterstühle sitzen und mit seiner Mutter reden. Hier erfährt der Leser eine ganz besonders wichtige Sache über den Protagonisten: Er will die Welt verändern! Mit dem größten Geheimnis wartet der Erzähler aber bis zum Ende des ersten Teils. Ein erfahrener Leser hätte sicher schon lange geahnt, was ich beim ersten Lesen unglaublich überraschend fand. Denn Josh ist Larry.


Beth ist begeistert von Henry David Thoreau. (Matito/Flickr/CC BY-SA 2.0)

Zweiter Teil / Mt. 10, 39

Josh erzählt nun nach der großen Enthüllung, wie es zur Idee des Larry-Evangeliums gekommen war. Während er auf der einen Seite alles tut, um seine wahre Identität geheim zu halten, spielt er mit seinen Followern auch ein Spiel. Denn Josh besitzt nur 75 Gegenstände - alles eingerechnet, was man sich vorstellen kann. (Dinge wie ein paar Socken sind aber auch nur ein Gegenstand.) Sobald er etwas neues will, muss er etwas anderes weggeben, das ist seine selbst auferlegte Regel. Das Spiel besteht darin, dass Larry Fotos von diesen Gegenständen hochlädt, ohne sie allerdings zu kommentieren. Das Zielt der Homepage ist natürlich etwas anderes: "Larrys Mission würde sich gegen Verschwendung, das Über-die-Verhältnisse-Leben und Gehirnwäsche richten." (S. 49) Doch es kann schon einmal vorkommen, dass Josh es nicht mehr aushält, dass Beth den Sportler Todd anhimmelt. Dann entsteht etwas wie Larrys Predigt Nr. 113 mit dem Thema "Heuchler". Beth erkennt zwar, dass das zu ihrer aktuellen Situation passt, ahnt aber nichts von Joshs Geheimnis. Doch nun taucht noch ein weiterer Charakter auf: "betagold" fordert Larry auf seiner eigenen Homepage direkt heraus. Dieser User will heraus finden, wer sich hinter dem großen unbekannten Online-Prediger verbirgt, wodurch Josh bei seinen folgenden Veröffentlichungen immer vorsichtiger werden musste. Ein nächstes Anzeichen für den Verlauf der Geschichte tut sich auf, als Peter den Namen seines Stiefsohns in den Grabstein seiner verstorbenen Frau meißeln lässt. Dafür hat Josh aber kaum Zeit, denn immer mehr Leute wollen wissen, wer Larry wirklich ist. 

(Dougtone/Flickr/CC BY-SA 2.0)

Dritter Teil / Mk. 1, 11

Josh entspannt ein paar Tage allein im Wald. Als er zurück kommt, erfährt er, dass U2 so begeistert von Larry sind, dass sie ein Rockfestival mit dem Titel "Larryfest" auf die Beine stellen wollen, um seine Botschaften weiter zu verbreiten. Auch wenn er Angst hat, dass seine eigentliche Intention dadurch in den Hintergrund geraten könnte, fährt er mit Beth zum Festival. Larry gibt auf seiner Website offen zu, dass er an dem Festival teilnehmen wird. "PS: Ich bin der Typ mit dem T-Shirt und dem Lächeln" (S. 109, Predigt Nr. 271) Bei dem Auftritt von U2 gibt Bono persönlich bekannt, dass er gar nicht wissen wolle, wer Larry ist. Doch diese Meinung teilte offensichtlich nicht jeder. Betagold hatte einen Kaffeetisch aufgestellt und sammelt Unterschriften um Larry dazu zu bewegen, seine wahre Persönlichkeit zu zeigen. Doch die kann er nicht einmal Beth verraten, auch wenn Josh wieder einmal kurz davor steht. Dann trifft er auch noch eine ältere Frau, deren Zahnbürste in den Matsch gefallen ist. Als er ihr eine neue gibt, sagt sie, dass seine Mutter stolz auf ihn wäre  - und rettet so Joshs Tag. Nach dem Festival wird die Situation aber wieder brenzliger, denn Betagold scheint zu wissen, wo Larry wohnt. Josh wird regelrecht paranoid, kann auf der anderen Seite seine Gefühle nicht mehr kontrollieren und küsst Beth, wodurch ihre Freundschaft in Gefahr gerät. Genervt von diesem Ereignis und Peters Freundin Katherine öffnet er die Tür, vor der die Frau mit der Zahnbürste steht. Sie stellt sich als Tracy Hawthorne vor - der Leser kannte sie bisher nur als Betagold. ">>Ich hätte dich auf dem Festival erkennen müssen<<, sagte sie. >>Du warst der mit dem T-Shirt und dem Lächeln.<<" (S. 129)

Der Wald ist Joshs Rückzugsort. (qwrrty/Flickr/CC BY 2.0)

Vierter Teil / Mt. 16, 26

Durch diese Offenbarung durch Betagold wird Larry zum Markenname, zum Produkt. Die konsumorientierte Gesellschaft interessiert sich nun nicht mehr für Larry und seine Predigten; alles dreht sich um Josh Swensen. Der fühlt sich nun als Gefangener im eigenen Haus. Durch einige seiner Ideen hatte er die Arbeit seines Stiefvaters bereits zunichte gemacht, sodass das Verhältnis der Familie ebenfalls gespannt wurde. Doch das sollte nichts sein im Vergleich zu Beths Zorn. Sie wollte den Sommer nun auch noch in Seattle verbringen - also ziemlich weit weg von Boston. Und Josh/Larry. Dann stellt sich heraus, dass seine Liebe gar nicht einseitig war. Doch Beth geht, und Josh bleibt deprimiert zurück. Er findet nur einen Ausweg aus der Situation und nennt es "Projekt Tom Sawyer" - er plant einen Pseudozid.

Josh hat einen Plan. (hober/Flickr/CC BY-SA 2.0)

Fünfter Teil / Joh. 20, 9

Josh bereitet sich auf den "S-Tag" (Schicksal, Selbstmord) vor. Immer wieder quälen ihn Identitätsfragen - wer ist Josh überhaupt? Im Wald werden seine Pläne immer genauer. Als es soweit ist, läuft es nicht unbedingt nach Plan, aber dennoch ahnt niemand etwas. Josh Swensen springt von der Brücke - "Gil Jackson" verlässt als einziger Augenzeuge den Tatort.

Josh täuscht seinen Suizid von der Sagamore Bridge vor.
(bknittle/Flickr/CC BY-SA 2.0)

Sechster Teil / Lk. 24, 23 und 31

Josh/Larrys Tod wird zur nationalen Medientragödie. Schließlich glaubt man aber, dass er Selbstmord begangen hat. Auf dem Gedenkgottesdienst hält Beth eine Rede, und sie und Peter brechen Josh in fast das Herz. Er beobachtet sie bei einem Livebericht über den Gottesdienst im Fernsehen. In den kommenden Tagen durchläuft Larry das Spiel ungefähr jedes Prominenten, der gestorben ist. Mädchen behaupten, von ihm schwanger zu sein, Männer behaupten, sein wahrer Vater zu sein, und Josh kennt nur noch einen Ausweg: Er will wieder in den Wald.